Das Wort zum Hamster

August 20, 2016     / / /

Dieser Text ist für Personen über 18 Jahren nicht geeignet. Es geht nämlich um einen Hamster. Ich habe nichts mit Hamstern am Hut. Hatte nie einen, wollte nie einen, habe auch nie nur eine Sekunde darüber nachgedacht, mir einen Hamster zu kaufen. Weder als Kind noch als erwachsene Person. Weder nüchtern noch betrunken. Hamster tauchen auf meinem Haustierradar überhaupt nicht auf. Nun könnte die Geschichte damit auch zu Ende sein. Wenn Frau Teddy Walther Wurst nicht wäre. Frau Teddy Walther Wurst, kurz Frau Walther, ist mein Hamster. Auch ich finde das alles sehr verirrend und muss mich erst mal mit der neuen Situation abfinden. Das ist das Ende der Geschichte.

Ich erzähl mal den Anfang. Es begab sich eines fröhlichen Tages, dass jemand die Idee hatte: Lasst uns dem Geburtstagskind doch einen Hamster kaufen. Der Jubel war gross, die Euphorie grenzenlos. Dann kamen erste Bedenken: Was, wenn das Geburtstagskind keinen Hamster will? Bedenken wurden gleich aus dem Weg geräumt. Und das aus gutem Grund: Das Geburtstagskind postete Fotos von Hamstern, redete oft darüber wie lustig Hamster seien, Hamster hier, Hamster dort, Hamster, Hamster, Hamster. Der Zeitpunkt schien uns richtiger als je zuvor. Das Geburtstagskind ist 33 Jahre alt.

Zurück zum Tag der Entscheidung, dem Geburtstagskind das zu schenken, was sein Herz auf eine nicht ganz nachvollziehbare Weise erwärmte: einen Hamster. Wir tummelten uns zwei Wochen auf Hamsterforen, lernten mehr über Hamster als über uns selbst. Kennen Sie das Problem, wenn man mehr weiss, als der Verkäufer, weil man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt hat? Der erste Verkäufer wurde nach einem kurzen Wortwechsel über Hamster links liegengelassen und als Aushilfsverkäufer abgestempelt. Man verlangte die Hamster-Chefin.

Wir liessen uns anschliessend mit Stift und Notizbüchlein in der Kleintierhandlung von einer sehr kompetenten Hamster-Verkäuferin beraten: «Hamster hamstern.» Wir nickten und taten so als würden wir uns das ernsthaft notieren. Und so folgte ein Referat über die richtige Hamsterhaltung, die mit diesen dramatischen Worten endete: «Wenn ein Hamster aus einer Höhe von mehr als einem Meter runterfällt, stirbt er.» Nach einer Stunde war der Kopf gross und der Käfig, den wir gekauft hatten doppelt so gross als der, den wir am Anfang im Auge hatten. Tiergerechte Haltung. Aha, und wieso ist der kleinere Käfig dann auch mit Hamster angeschrieben? Als Laien-Hamster-Käufer hat man keine Chance gegen diese Kleintierverkäuferinnen, vor allem, wenn sie das Stichwort Tierquälerei bringen. Zum doppelstöckigen Loft-Apartment-Maisonette-Doppelhälften-Luxuskäfig mit zwei Rampen kam die Basisaustattung: Ein Haus, ein Mineralienstein, ein Trinknapf, ein Fressnapf. Den Rest wie Laufrad und Sonstiges wollten wir dem Geburtstagskind überlassen. Weil so eine Käfigeinrichtung dem Geburtstagskind bestimmt Spass machen würde.

Zwei meiner Komplizinnen schleppten den riesen Käfig, inklusive Futter, Stroh und Streu, zu Fuss nach Hause. Dass dies alles zusammen viel zu schwer war für zwei Personen, wurde erst nach ein paar Metern festgestellt. Zuhause blieb der Käfig drei Nächte. Die Aufregung steigerte sich ins Unermessliche. Jetzt fehlte nur noch der Hamster. So begab ich mich einen Tag vor dem Geburtstag in die gleiche Kleintierhandlung, in der wir den Käfig gekauft hatten. Ich hatte als Entscheidungsverstärkung meinen Bruder mitgenommen. Er hatte zwar keine Ahnung von Hamstern, dafür hat er Meerschweinchen zu Hause, weshalb auch immer. Es besteht also irgendwie ein Verständnis für Nagetiere, was mir ja gänzlich fehlt. So standen wir also da und blickten in die leeren Käfige, denn die Hamster schlafen alle tagsüber. Mir war die Frage unangenehm, ob uns die Verkäuferin vielleicht einen zeigen könne. Ich hatte nämlich in den letzten zwei Wochen viel darüber gelesen, dass man Hamster keinesfalls tagsüber wecken soll, weil sie sonst aggressiv werden. Oh mein Gott, das letzte, was ich verschenken will, ist ein Kampfhamster. Die Verkäuferin meinte etwas schlecht gelaunt: Sie will nicht unbedingt, dass alle Hamster aufwachen.

Sagte ich schon, dass ich allgemein Mühe habe mit Verkaufspersonal? Egal in welchem Bereich. Sollte ich etwa einen Hamster im Sack kaufen? Und ausserdem, wenn ich mich hier umblicke in diesem grellen, Neon beleuchteten Raum an einer der meist befahrenen Kreuzungen der Stadt, in wahrscheinlich einer der meist frequentierten Tierhandlungen der Schweiz, dann würde ich mal sagen, dass das geringste Übel ist, dass der Hamster nun für 2 Minuten geweckt wird, um danach den Rest seines Lebens in einem fünfstöckigen Penthouse-Käfig zu verbringen, Bitch. So dachte ich mir das, während die Hamsterverkäuferin im Streu den Hamster suchte. Ah, da war ja schon einer. Meine zwei Komplizinnen, die den Käfig gekauft hatten, erzählten mir, dass die Hamster, die sie gesehen hatten, bei ihnen einen Jööö-Effekt ausgelöst hatten. Mit dieser Erwartung schaute ich in den Käfig. Der Jööö-Effekt trat nicht ein. Ich suchte Hilfe bei meinem Bruder. Dieser hatte sich aber ein wenig vom Käfig entfernt und beobachtete Meerschweinchen. Als ich ihn fragte, ob er den Hamster süss findet, zuckte er mit den Achseln und murmelte etwas von «Ja, schon.»

Dann kamen wir auf das Thema kranke Hamster, das ich angesprochen hatte, weil ich schon von meinem zwei Komplizinnen vorinformiert war, dass in dieser Tierhandlung zwei der Hamster Pilze hatten. So erfuhren wir, dass dieser eben gezeigte Hamster sich gerade in einem Käfig aufhielt, der zuvor von zwei kranken Hamstern bewohnt worden war. Ja, es sei schon möglich, dass dieser Hamster auch krank wird. Bitte, wie? Finde eigentlich nur ich das seltsam? Ich glaubte mich zu verhören. Meine Abneigung gegen Verkäufer steigerte sich in diesem Moment ins Unermessliche. Ich muss noch erwähnen, dass diese Verkäuferin nicht die Hamster-Chefin war. So geschah, was geschehen musste: Die Verkäuferin öffnete den zweiten, nicht kontaminierten Käfig und weckte einen weiteren Hamster. Immer noch aufgebracht, innerlich fluchend, blickte ich in den Käfig.

Da kam er zum Vorschein: der hässlichste Hamster der Welt. Weit entfernt vom Jööö-Effekt. Ich rümpfte wirklich die Nase und schämte mich dafür. Aber der Hamster, der aussah wie eine Maus, war wirklich hässlich. Nichts Schönes. Ehm, ob sie uns noch einen anderen zeigen könne. Es war jetzt eh egal, aber ich wollte weder einen wahrscheinlich irgendwann kranken Hamster noch den hässlichsten Hamster der Welt kaufen. Sie hätte nur noch einen Teddy Hamster. Das sei auch ein Goldhamster, nur das Fell wäre etwas länger. Nicht sehr optimistisch guckte ich in den Käfig. Da streckte und reckte sich unser Hamster. Er schien ein sehr aufgeweckter Hamster zu sein. Ich schaute meinen Bruder an und sagte: «süss, oder?» Er nickte nicht sehr euphorisch. Wir fanden wohl beide das gleiche: Im Vergleich zu den anderen war er richtig süss, das stimmte.

Die Stunde der Wahrheit nahte. Der Überraschungs-Geburtstagsbesuch stand an. Wir organisierten eine Fahrerin. Lockten den Hamster in eine Transport-Hamsterbox und fuhren los. Vor dem Haus angekommen machten wir Fotos von uns mit dem Hamster. Und begaben uns schliesslich zum besagten Haus. Würde sie daheim sein? Wenn ja, würde sie uns öffnen? Was, wenn nicht? Fragen über Fragen. Da summte die Türöffnung und wir stiessen die Tür auf. Wir schlichen uns nach oben, vier an der Zahl, fünf mit Hamster. Den Käfig liessen wir noch unten, den Hamster versteckten wir hinter dem Rücken. Das Geburtstagskind erwartete uns oben vor der Tür. Wenn es einen schlechten Zeitpunkt gegeben hatte, das Geburtstagskind zu überraschen, so war dies wohl der schlechteste Zeitpunkt aller Zeiten. Vielleicht sogar des ganzen Jahrhunderts. Den Rest erledigte dann der Hamster. Und der überdimensionale Käfig. Das erstarrte, geschockte Gesicht des Geburtstagskindes wäre ein Foto wert gewesen. Ihre Worte liessen uns alle augenblicklich in den Boden versinken. «Ihr könnt mir doch keinen Hamster kaufen», stammelte sie. Wir sassen schweigend um den Käfig. In ihrer Wohnnug. Sie hatte uns tatsächlich mit Hamster und Käfig reingelassen. Uns hirnamputierte Vollidioten. Irgendwann durchbrachen dann ihre Worte die angespannte Stille und machten uns bewusst, was wir angerichetet hatten: «Ich kann den Hamster nicht nehmen.» In diesem Moment wurde mir bewusst, dass wir dafür büssen würden. Mir wurde schlecht. Und dann sprach ich etwas aus, das ich auf gar keinen Fall wollte. Aber ich musste es tun. Ich sagte es und traute gleichzeitig meinen Ohren nicht. «Das ist kein Problem. Wir haben uns für diesen Fall überlegt, dass wir den Hamster nehmen.» Alle schauten mich erstaunt an. Einen Scheiss hatten wir überlegt. Mit diesem Szenario hatte niemand von uns gerechnet. Am ehesten noch der Hamster.

Ein Hamsterrad, ein Tunnel, eine Hängebrücke und ein Hamsterklo. Das sind die neuen Einrichtungsgegenstände für Frau Walther, die wir ihr gekauft haben. Und die stehen und hängen in ihrem Käfig. In unserer Wohnung. Ich will jetzt bitte nicht zum hundertsten Mal hören, man solle eben keine Tiere verschenken. Einfach bitte nicht. Wir wissen es und wussten es schon vorher. Wir hatten es uns wirklich gut überlegt. Das war keine leichtsinnige Entscheidung gewesen.

Wen es interessiert, wie es weiter gegangen ist: Frau Teddy Walther Wurst richtete es sich in ihrem doppelstöckigen Penthouse-Loft gemütlich ein und verbrachte so manchen Abend mit uns zusammen TV schauend. Manchmal auch auf dem Käfig oben sitzend. Zu unserem Schrecken. Denn wie war dieser Houdini Hamster aus dem Käfig gekommen? Was tat er, wenn wir nicht zuhause waren? Zum Teufel, wieso hatten wir einen Hamster? Fragen über Fragen. Diese Fragen waren berechtigt, denn eines schönen Abends stolperten wir lachend nach einem Barbesuch in die Wohnung und trauten unseren Augen nicht: Der Hamster sass auf unserem Küchenstuhl. Ich sah die Hamsterverkäuferin vor meinem geistigen Auge und erschrak. Vorwurfsvoll sagte sie zu mir: «Wenn ein Hamster aus einer Höhe von einem Meter fällt, stirbt er». Zwei Fragen schossen mir durch den Kopf: Wie hatte der Hamster seinen Käfig-Ausbruch überlebt? Der Käfig stand auf einem Regal, das weit höher war als einen Meter. Und die zweite Frage war: Wie fangen wir den Hamster auf dem Stuhl ein? Als erstes ging uns beim Einfangmanöver die Transportbox auf und begrub den Hamster komplett mit Heu. Na super, statt den Hamster zu retten, töten wir ihn. In angetrunkenen Zustand einen Hamster unversehrt einzufangen, halte ich für eine ausserordentliche Leistung. Ein paar Wochen später mussten wir feststellen, dass es so mit uns nicht weitergeht. Die Vorstellungen, was das gemeinsame Wohnen betrifft, gingen zu weit auseinander. Und so suchten wir für Frau Teddy Walther Wurst eine neue Bleibe. Ein Hamsterparadies: Auf einem Bauernhof mit vielen Tieren. Bei einer Familie, mit zwei Kindern, die sich sehr auf einen Hamster freuten. Wir winkten dem Auto lange nach. Als sie endlich nicht mehr zu sehen waren, hüpften wir pfeifend und in die Hände klatschend ins Haus zurück. Endlich weg. Nie mehr ein Nagetier. Da ein Anruf. Wir erstarrten augenblicklich, schauten ängstlich auf das Handy-Display. Es war die Nummer der Mutter der Hamsterkinder. Was war passiert? Hatten Sie es sich doch anders überlegt? Mit zittriger Hand nahmen wir den Anruf entgegen: «Ja, hallo?» Von der anderen Seite krächzte der Siebenjährige, der noch vor ein paar Minuten aufgeregt in unserer Wohnung den Hamster entgegengenommen hatte: «Wie heisst eigentlich der Hamster?» Wir schauten uns beide an und konnten fast nicht mehr vor Lachen. «Er heisst Frau Teddy Walther Wurst». «Hääää?» krächzte der Kleine ungläubig.

Der Hamster hat sich gut eingelebt. Auf einem Bauernhof irgendwo im Aargau. Er hat eine neue Identität und heisst jetzt: Pringles. Das ist das letzte, was wir gehört haben. Wir haben ordentlich dafür gebüsst. Was wir getan haben, war unrecht.

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