Das Wort zum Bier

September 11, 2016     / /

Ist es besser, sich morgens einen Stangensellerie-Apfel-Ingwer-Gurken-Fenchel-Drink hinter die Binde zu kippen oder ein Bier? Ein Aufschrei. Was schreibt diese Frau da? Ist sie des Wahnsinns? Die aufgebrachte Meute bewirft die Autorin gedanklich mit Tomaten und rohen Eiern. Vielleicht folgt noch ein Schienbeintritt, während sie auf dem Boden liegt. Ganz ruhig. Man darf doch einfach mal eine Frage in den Raum werfen. Jesses, dass da alle gleich so überreagieren. So lasset mich ausführen:
Es gibt tausende von Möglichkeiten, in den Morgen zu starten. Mit einem Gipfeli zum Beispiel. Geht, aber nicht auf Dauer. Denn man geht leider selbst auf wie ein Gipfeli, wenn man sich die Teilchen jeden Morgen reinpfeift. Schreibe aus eigener Erfahrung. Vor allem, wenn es das Big Silser Gipfeli aus dem Coop ist, doppelt so gross und damit doppelt so fein wie ein herkömmliches Gipfeli. Mehr sage ich dazu nicht. Also gut. Ich stehe in einem Elektronik-Geschäft an der Kasse. Da schweift mein Blick nach rechts. Da steht er, lächelt mich an, zwinkert. Ich drehe mich um, niemand steht hinter mir. Er meint mich. Der Smoothie- Mixer hat es auf mich abgesehen. Auf dem Bild ist ganz viel Obst und Gemüse abgebildet, zum Mixen parat. Sieht gesund aus. Und dann auch noch runtergesetzt von 98 Franken auf 69 Franken.

Ich zögere als ich lese: Bekannt aus der TV-Werbung. Ich stelle mir einen Tele-Shopping Kanal vor: Eine Frau lächelt künstlich in die Kamera, eine zweite Frau lächelt ebenfalls. Ihre Haut straff nach hinten gezogen. Und ich meine damit nicht, mit einem Haargummi. Denn sie tragen ihre Haare offen. Ihre Gesichtsmimik starr, alles glatt gebügelt im Gesicht. Sie sitzen da auf ihren Sesseln, die Hände auf ihrem Schoss gefaltet. Der Mixer wird von einem Schimpansen mit einem Servierwagen hereingerollt. Die Frau, es ist egal, welche, spaltet mit einem Samurai-Schwert eine Melone, die sie dann wie eine Irre mit einem Beil kleinhackt. Nach und nach spaltet und hackt sie kiloweise Obst, Gemüse und Früchte. Noch lächelt die Frau an ihrer Seite. Im Verlauf der nächsten Minuten läuft etwas schief, denn die Frau beginnt wie in Rage alles klein zu hacken, was ihr unter ihr Beil kommt. Irgendwann auch das Sofa und den Servierwagen. Ich wäre auch frustriert, wenn ich so einen Job machen müsste. Abgesehen von dieser kleinen Abweichung des Programms finde ich: Ja, okay, wieso eigentlich nicht. Ich kauf mir den Mixer. Mahnende Worte dringen aus der Ferne an meine Ohren: Nicht, dass du nach einer Woche kein Interesse mehr an dem Ding hast. Ich weiss, dass diese Bedenken nicht ganz unberechtigt sind. Aber diesmal meine ich es ernst. Ich habe immerhin zwei Minuten darüber nachgedacht, mir das Ding zu kaufen. So ein Smoothie-Mixer gehört in eine jede Küche. Er sollte schon in der Küche integriert sein. Gibt es diese Marke schon? Smooth Kitchen. Ein Mensch ohne Smoothie-Mixer ist nur ein halber Mensch. Fasziniert nehme ich den Mixer in die Hand, halte ihn hoch wie eine Trophäe. Meins sollst du sein. Ewige Jugend, ab jetzt und in alle Ewigkeit. Ich springe auf den Detox-Zug auf, 1. Klasse Fahrt, mit Höchstgeschwindigkeit in den Tunnel hinein, das Licht danach wird extrem hell sein.

Es ist sau früh, ich schneide Stangensellerie, Gurken, Fenchel, Apfel, Ingwer. Licht, ich hasse dich. Ich google Smoothie-Rezepte, finde diverse. In jedem Rezept ist was drin, dass ich nicht zuhause habe. Ich öffne den Kühlschrank, nehme, was ich habe. Nach dem Motto: Viel, hilft viel, hau ich alles rein, was andere für vier verschiedene Rezepte brauchen. Mir egal, ich muss einiges nachholen. Detox ist ja schon wieder fast ein alter Hut. Menschen lassen sich bereits einfrieren, um sich in 50 Jahren wieder auftauen zu lassen. Und wo stehe ich? Ich habe jetzt den Smoothie Mixer entdeckt. Ich bin sowas von Gestern. Der Drink ist ziemlich eklig, aber mir gefallen die roten Punkte von der Apfelschale im grünen Saft. Ja, giftgrün ist er, der Zaubertrank. Grün ist gut. Das habe ich im TV gesehen. Ich muss aufstossen, es riecht nach Stangensellerie. Immerhin, besser als Bier. Ich hoffe, dass ich im Büro keinen Durchfall kriege. Nicht, dass das jemals vorgekommen ist. Also, im Büro. Mein Körper ist sich soviel Gesundes auf einmal nicht gewohnt. Das könnte zu einem Abwehrmechanismus führen. Achtung, da kommt was Neues. Es ist grün. Alarmstufe rot. Der Countdown läuft. Volle Kraft voraus.

Ich weiss nicht, man wird einfach älter. Vor einem Jahr las ich das erste Mal ein sehr böses Wort. Auf der Rangliste der schlimmsten Wörter auf diesem Planeten steht es ganz weit oben. Es ist das Wort «Winkfleisch». Winkfleisch? Wieso Winkfleisch? Oh, jaaaaa, okay, alles klar, jetzt verstehe ich, Winkfleisch. Es gibt Übungen gegen Winkfleisch. Ich lese im Netz folgendes: 15 kraftsporterfahrene Frauen im Alter von 20-24 Jahren standen als Versuchsgruppe zur Verfügung. Mittels Elektromyografie (EMG) haben die Wissenschaftler die Muskelaktivität bei 8 verschiedenen Übungen gemessen. Das Ergebnis: Die höchste Muskelaktivität wurde bei engen Liegestützen (Triangle-Push-ups) gemessen. Auf den Plätzen folgten Dips und Trizeps-Kickbacks…Moment mal. Im Alter von 20 bis 24 Jahren? Wollen die mich verarschen? Es kann doch nicht sein, dass die im zarten Babypopo-Alter von 24 Jahren schon Winkfleisch haben? Oder doch? Könnte schon sein, dass sich heutzutage bei gewissen 24-jährigen der körperliche Zerfall schon in einem fortschreitenden Stadium befindet. Wenn ich mir die heutige Jugend anschaue, würde es mich nicht wundern, wenn der eine oder die andere schon mit 12 auf Bewährung rauskommt und den ersten Drogenentzug hinter sich hat. Was habe ich eigentlich mit 12 gemacht? Keine Ahnung. Pippi Langstrumpf gekuckt? Alf? die Olsenbande? Lassen wir das.

Also, täglich 3 Minuten sollen helfen. Ja, sicher, 3 Minuten. Das ist doch lächerlich. Wenn man zwei Stunden täglich ins Fitness geht, sieht man vielleicht nach einem Jahr eine minimale Veränderung. Und dann kommt noch was dazu: Ins Fitness gehen ist voll der Pain in the Ass, aber so richtig. Weil man dort Leuten begegnet, mit denen man sonst im Alltag aber sicher gar nichts zu tun hat und mit denen man auch nie was zu tun haben möchte. Stöhnend sitzen sie an ihren Geräten. Ja, stöhnend, so laut, dass es alle hören. Oh, ja, ich bin so geil, ich muss so laut stöhnen, dass es alle hören. Ich verdrehe die Augen, während ich das schreibe. Wie gerne würde ich einfach mal so eine 100 kg Hantel nehmen, zu zweit, und dem Typen auf den Fuss fallen lassen. Das wär ein Spass. Das Gute daran ist, dass er mich ja dann nicht verfolgen kann, weil sein Fuss kaputt ist. Gut, sicherer ist, man lässt die Hantel auch noch auf den zweiten Fuss fallen. Und auf die Hand. Beide Hände. Und wenn dann alles gebrochen ist, sage ich: Weisst du, ich bin sonst nicht so. Ich verabscheue Gewalt. Ich bin sehr friedfertig und Harmonie bedürftig. Ja, ich weiss, was du sagen willst: das ist sicher auch Teil der Ursache für meine explosionsartigen Gewaltausbrüche. So, genug Smalltalk für heute. Ich wünsche dir einen schönen Tag.

Jedes Mal muss ich mich überwinden, ins Fitness zu gehen, dass ich schon ganz müde werde und Sorgenfalten bekomme, weil ich stundelang mit mir selber kämpfe, um dann den Weg von zehn Minuten auf mich zu nehmen. Und dann ist man dort, schaut in diesen Raum und denkt: Wie teuer ist eigentlich so ein Home-All-in-One-Stöhnfrei-Fitnessgerät? Als Antwort kommt ein Stöhnen. Ach was, Geld spielt keine Rolle.

Freunde in meinem Alter lassen sich mit Darmreinigungen das Gift aus dem Körper spülen, fasten, entschlacken, detoxen zwei Wochen lang im Jahr, um danach 46 Wochen lang alles Gift wieder aufzusaugen, das ihnen in die Hände kommt. Kann man, muss man nicht. Ehrlich gesagt klingt das ja alles wahnsinnig gesund, wenn man sich überlegt, dass man zum Frühstück Stangensellerie intus hat. Natürlich sollte dieser Bio sein. Denn so ein Pestizid-Drink zum Frühstück ist auch nicht so das Wahre. Aber ist es auch wirklich Bio, wenn Bio drauf steht? Irgendwo habe ich mal gelesen oder gehört oder gesehen, dass es Biofelder gibt, die neben herkömmlichen Feldern liegen. Und wenn dann das Pestizid versprüht wird, kriegts das andere Feld auch ab, wenn der Wind ungünstig steht. So ungefähr. Ich kann mir Details nie so genau merken. Ich merke mir nur das, was mich interessiert und lasse den ganzen restlichen Plunder weg. Andere sagen: Ja, also, ich kann mich erinnern, das war vor sechs Jahren, ja, genau, 2009, im Juli, da war ich auf einer Party mit der Freundin meines Schwagers und da hat der DJ so schlechte Musik gespielt und da war es doch so heiss, ein Hitzesommer, da habe ich diese SMS geschrieben. Whuat? Moment mal, bin ich hier eigentlich die einzige, die das komisch findet, wenn man sich an vor sechs Jahren erinnert? Also, Frau M., wo waren sie letzten Samstag zwischen 18.00 und 22.00 Uhr? Ehm, also, hui, boah, hm, was ist heute für ein Tag? Möglicherweise war ich da…Das reicht, führen sie die nun mittlerweile sehr verdächtige Person ab. Sagen sie mal, wieso riechen sie so stark nach Sellerie? Langsam wird es eng für sie, der Mord fand in einem Schrebergarten statt. Bio oder herkömmlicher Schrebergarten? frage ich. Als Antwort wird die Zellentür zugeschlagen.

Meine Grossmutter hat morgens gelegentlich ein Bierchen getrunken, einfach nur, weil sie Lust drauf hatte. Sie ist 95 geworden, fit im Kopf bis zum letzten Glässchen. Es hängt doch eh alles von den Genen ab. Da kann man soviel stöhnen und Stangensellerie trinken, wie man will. Ausserdem sehe ich jünger aus, als ich bin. Nur das zählt. Check und Ende und cheers.

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