Das Wort zum Donnerstag
July 18, 2013 Amok / Flugzeug / Kinder
Eine kleine Episode, passend zu dieser krassen Schön-Wetter-Ferienstimmung:
Ich spüre Tritte in meinem Rücken. Nein, ich liege nicht auf dem Boden und werde gerade von Skinheads traktiert. Ein Kind sitzt hinter mir im Flugzeug von Zürich nach Amsterdam und haut sekündlich seine Beine in meinen Sitz. Ich denke: Vielleicht sagt ja der Vater, der neben dem Kind sitzt, irgendwann irgendwas zu dem Balg. so etwas wie: «Chantal, sei lieb und hör auf damit» oder: «Chantal, wenn du das noch einmal tust, hau ich dir in die Fresse» oder «Chantal, das ist nicht dein Sitz da vorne, also halte deine Beine still.»
Doch ich höre nichts dergleichen. Ich werfe genervt einen bösen Blick nach hinten zum Vater, der schräg hinter mir sitzt. Das nützt jetzt hoffentlich. Diese Familie ist mir schon beim Einsteigen negativ aufgefallen: Total verpeilte Öko-Eltern mit breiten wehenden Hosen und Zöpfen in den Haaren und schreienden Kindern und und und, die sofort den ganzen Raum einnehmen mit ihren negativen agglo agro Vibes. Schon da habe ich gehofft, dass sie nicht in meiner Nähe sitzen. Aber klar, wieso sollte es auch anders sein, das Leben wäre ja sonst zu einfach. Es kommt also wie es kommen muss: Sie sitzen in unmittelbarer Nähe.
Ich habe 5 Sekunden Ruhe, da beginnt das Kind, den Klapptisch im Sekundentakt auf und zuzuklappen. Ich merke, wie meine Halsschlagader zu pulsieren beginnt. Fuck antiautoritäre Erziehung. Fuck Hippie-Eltern, fuck alle, die anderen respektlos begegnen. Ich stelle mir vor, wie ich mich aus meinem Sitz erhebe, meine im Flugzeug unter meinem Sitz für mich von einem Flugzeugmechaniker versteckte Pumpgun hervorkrame – für den Fall, dass ich sie brauche, man weiss ja nie – und sie mit den folgenden Worten auf den antiautoritären Vater richte: «Wir werden jetzt mal Plätze tauschen, du setzt dich nach vorne und ich nehme deinen Sitz. Bist du einverstanden?» Der antiautoritäre Vater blickt um sich, doch alle Passagiere haben ihren Kopf eingezogen. Er nickt zitternd. Ich fahre fort: «Und dann schauen wir mal, wie viel so ein Sitz aushält, wenn man von hinten reinschiesst. Vielleicht ist er ja so stabil, wie du denkst und du merkst gar nichts?» Der antiautoritäre Vater fällt vor mir auf die Knie und bettelt und bittet, weint jämmerlich und fleht mich an, es nicht zu tun. Ich lache ihn aus.
Kindernägel holen mich aus meinem schönen Tagtraum in die Realität zurück. Die Kinderhand hat meinen Hals schmerzlich gestreift. Ich drehe gleich durch. Wieder werfe ich einen Blick nach hinten. Und dann kommt etwas, das mich völlig aus der Bahn wirft. Der antiautoritäre Vater sagt zu seinem Kind, es solle aufhören, denn DIE da vorne seien WOHL genervt. Ich schiesse in diesem Moment mein Magazin leer und drücke immer noch, obwohl es schon längst leer ist. Zum Glück leitet in diesem Augenblick der Pilot den Landeanflug ein. Nur schnell raus hier und weit weit weg oder ich laufe wirklich Amok.